Die Schweizer Berghilfe ist präsenter denn je in der Öffentlichkeit. Dies führt zu mehr Spendern und höhere Spenden. Für Regula Straub, Geschäftsführerin der Schweizer Berghilfe, ist es ein grosses Anliegen, aufzuzeigen, dass es nicht um Sozialhilfe für arme Bergbauern geht, sondern das Fördern einer wirtschaftlichen Entwicklung in den Randgebieten der Schweiz.
2018 hat die Berghilfe Schweiz ihr 75-Jahr-Jubiläum gefeiert. Tragen die Jubiläumsaktivitäten schon Früchte?
Regula Staub: Die Spendeneinahmen sind im vergangenen Jahr mit über 32 Millionen Franken deutlich höher ausgefallen als üblich. Das hat ganz klar mit unseren Aktivitäten im Jubiläumsjahr und mit der gesteigerten Präsenz in der Öffentlichkeit zu tun. Noch wichtiger ist jedoch, dass wir die Bekanntheit der Berghilfe erhöhen und neue Personen ansprechen konnten.
Sie haben gegenüber 2017 rund 14’000 Neuspender mehr. Auf was führen Sie diesen Erfolg zurück?
Zuerst möchte ich noch präzisieren: Wir hatten letztes Jahr 14’000 neue Spender bei einer Gesamtzahl von 60’000 Spendern. Die 60’000 sind 10 Pro-zent mehr als im Vorjahr. Meine Antwort bezieht sich auf die Zunahme von 10 Prozent. Unser Erfolg ist ganz klar auf unsere Aktivitäten zurückzuführen. An unseren Bergfood Festivals in der ganzen Schweiz konnten wir vielen Menschen, die uns vorher noch nicht gekannt hatten, von unserer Arbeit erzählen. Und mittels der Berghilfe Trophy, einer Art Schnitzeljagd zu verschiedenen Projekten, die von der Berghilfe unterstützt worden waren, haben Menschen aus städtischen Gebieten die Arbeit der Berghilfe konkret kennen gelernt.
Berggebiete als Lebensraum und Wirtschaft stellt an seine Bewohnerinnen und Bewohner besondere Anforderungen. Wo liegt da der grösste Handlungsbedarf?
Die Spiesse sind für die Bergbevölkerung einfach nicht gleich lang wie für die Flachländer. Längere Transportwege, kürzere Vegetationszeit, schlechtere Anbindung an den öffentlichen Verkehr und Schwierigkeiten, Fachkräfte zu finden, sind einige Beispiele. Ausgleichen kann man dies mittels Spezialisierung oder Nischenprodukten und mit Investitionen, die zu effizienteren Arbeitsabläufen beitragen. Die Schweizer Berghilfe ermöglicht solche Vorhaben durch ihre finanzielle Unterstützung.
Was sind die grössten Hürden für die Landwirtschaftsbetriebe in den Berggebieten?
Einfach gesagt: Jeder Arbeitsschritt dauert länger und ist strenger, und es können weniger Maschinen eingesetzt werden. Dies hat mit der Topographie zu tun, aber auch mit der kürzeren Vegetationszeit.
Wie hat sich das Leben der Bergbevölkerung im gesellschaftlichen Wandel der letzten Zeit verändert?
Die Zeiten, als bei den Bergbauernfamilien die Kinder noch zu fünft in einem Zimmer schliefen und alle sich am Bach waschen mussten, sind zum Glück schon lange vorbei. Heute leben die Menschen in den Bergen in vielerlei Hinsicht ähnlich wie diejenigen im Flachland. Und das ist auch gut so. Nachteile gibt es vor allem für die Jungen bei den Möglichkeiten zur Aus- und Weiterbildung. Wer eine gute Ausbildung will, ist meist gezwungen, in die Städte zu ziehen. Viele kommen dann leider nicht mehr zurück. So bleibt die Abwanderung ein grosses Thema.
Sie unterstützen aber auch Projekte aus Gewerbe und Tourismus. Was muss man sich darunter vorstellen?
Das kann die Anschaffung einer CNC-Fräsmaschine für eine Schreinerei im Tessin oder die Sanierung eines kleinen Hotels im Lötschental sein. Inhaltlich sind wir sehr offen. Wichtig ist, dass Arbeits- und Ausbildungsplätze erhalten bleiben oder sogar geschaffen werden.
Welche Kriterien müssen erfüllt sein, um von der Berghilfe Unterstützung zugesprochen zu bekommen?
Das Projekt muss im Berggebiet liegen oder dort seine Wirkung entfalten, es darf nicht schon abgeschlossen sein und die Projektträger müssen bereits alle verfügbaren Finanzierungsquellen ausgeschöpft haben. Wenn dann noch Geld fehlt, prüfen wir eine Unterstützung.
Wie kann man effizient der Abwanderung aus den Bergen entgegenwirken?
Ganz zentral ist die Möglichkeit, ein Einkommen zu erwirtschaften. Je mehr möglichst unterschiedliche Ausbildungs- und Arbeitsplätze vorhanden sind, desto weniger ist eine Region von der Abwanderung betroffen.
Der Prix Montagne wurde auch dieses Jahr ausgeschrieben. Welche Bedeutung hat der Preis für die Berghilfe?
Er ist ein Schaufenster für uns. Er zeigt der Bevölkerung auf, dass in den Berg-gebieten ein lebendiges wirtschaftliches Leben existiert – und wie wichtig dessen Erhalt ist. Die Menschen in den Bergen sollen zudem anhand dieser funktionierenden Beispiele ermutigt werden, sinnvolle Innovationen und Weiterentwicklungen anzupacken und umzusetzen.
Wie gut ist die Berghilfe in der Bevölkerung verwurzelt?
Im Jahr 2018 haben 60’000 Personen mit einer Spende ihre Solidarität mit der Bergbevölkerung bewiesen. Darauf sind wir stolz.
Ist die Bevölkerung genügend sensibilisiert auf die immer härteren Bedingungen der Bergbetriebe?
Ja und nein. Die Bedingungen in den Bergen haben sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Neue Maschinen und die Digitalisierung haben auch in den Bergen dazu beigetragen, dass die Arbeit weniger hart und weniger gefährlich wurde. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, mit denen die Bergbevölkerung zu kämpfen hat, sind jedoch nicht geringer geworden. Und: Sie sind weniger offensichtlich und darum auch schwieriger zu erfassen.
Die Schweizer Berghilfe hat ihre Struktur angepasst. Welche Auswirkung hat dies für die Organisation?
Für unsere Unterstützung hat die Anpassung der Aufgaben des Berghilferats keine Auswirkungen. Wir passen hier lediglich die Struktur der Realität an. Bereits bisher war die Hauptaufgabe der Berghilferäte, die Berghilfe in die Öffentlichkeit zu tragen und in ihren Netzwerken bekannt zu machen.
Welches Ziel hat sich die Schweizer Berghilfe für die Zukunft gesetzt?
Wir stellen fest, dass viele Menschen die Berghilfe immer noch als Hilfe für arme Bergbauern anschauen. Dieses Bild möchten wir verändern und klar aufzeigen, dass es nicht nur darum geht, Sozialhilfe zu leisten, sondern dass einzig das Fördern einer wirtschaftlichen Entwicklung nachhaltige Fortschritte ermöglicht. Auf diesem Weg wollen wir einen Schritt weitergehen.
Was wünschen Sie sich persönlich für die Schweizer Berghilfe?
Schön wäre natürlich, wenn es uns eines Tages nicht mehr brauchen würde, weil die Menschen in den Bergen die gleichen Chancen haben wie die im Flachland. Bis dahin dauert es aber wohl noch einige Zeit. In der Zwischenzeit wünsche ich mir, dass wir weiterhin so viele innovative Menschen bei der Umsetzung ihrer Projekte unterstützen können wie bisher.
Interview: Corinne Remund
SCHWEIZER BERGHILFE
Die Schweizer Berghilfe ist eine ausschliesslich durch Spenden finanzierte Stiftung mit dem Ziel, die Existenzgrundlagen und die Lebensbedingungen im Schweizer Berggebiet zu verbessern. Seit 1943 setzt sich die Berghilfe für die Menschen in den Schweizer Bergen ein. Sie unterstützt Projekte, die Arbeitsplätze und Wertschöpfung im Berggebiet schaffen. Damit wirkt sie der Abwanderung entgegen und sorgen dafür, dass die Bergregionen auch in Zukunft lebendig bleiben. Die Berggebiete der Schweiz bilden einen inspirieren-den Lebensraum. Die Menschen gestalten selbstbestimmt ihr Leben und leisten so einen wichtigen Beitrag an eine vielfältige Gesellschaft. Die Schweizer Berghilfe fördert mit finanziellen Beiträgen Projekte initiativer Menschen zur Weiterentwicklung ihres Lebensraums. Ehrenamtliche Expertinnen und Experten gewährleisten den wirkungsvollen Einsatz der Spendengelder.
Gründung der Schweizer Berghilfe Die «Kommission für soziale Arbeit in Berggegenden» (KOSAB) sammelt 1943 erstmals unter dem Begriff «Berg-Hilfe» Spenden. In der politisch und konfessionell neutralen Berghilfe vereinigen sich alle grossen, gemeinnützig tätigen Organisationen wie Pro Juventute, Heimatwerk, Winterhilfe, Caritas, SGG und Schweizerische Patenschaft für bedrängte Gemeinden. Bereits bei der Gründung gilt die «Hilfe zur Selbsthilfe» als Leitmotiv. Die Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB) ist ausdrücklich vorgesehen